Ein Jahr Pandemie: Wie geht es dem Groß- und Einzelhandel wirtschaftlich?

Seit mittlerweile einem Jahr hat Corona die Wirtschaft fest im Griff – doch kaum keine Industrie ist so stark betroffen wie der Groß- und Einzelhandel. Hohe Liquiditätsengpässe und Verschuldungsraten betreffen die ganze Wirtschaft, doch auch wenn Ladenöffnungen in Sicht sind: Besonders der Einzelhandel leidet finanziell mit jedem weiteren Monat unter Pandemiebedingungen. Creditsafe Deutschland hat in einer Analyse nun ermittelt, wie es um die Branche wirtschaftlich gestellt ist. Basis der Erhebung sind veröffentlichte Unternehmensbilanzen sämtlicher Betriebe dieser Branche sowie Daten der über drei Millionen deutschen Unternehmen aller Industrien. Das Ergebnis: Das Ausfallrisiko bei Unternehmen aus Groß- und Einzelhandel ist stark erhöht. Zum einen befinden sich hier deutlich mehr Unternehmen in der Überschuldung als in allen anderen Wirtschaftszweigen, auch Liquidität und Eigenkapitalquote sind äußerst besorgniserregend.

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Liquidität: Schlechte Zahlungsfähigkeit in der gesamten Branche

Die Verfügbarkeit von genügend Zahlungsmitteln, auf die ein Unternehmen unmittelbar zugreifen kann, ist in der aktuellen Situation zu einer der bedeutendsten Größen zur Unternehmenssteuerung, aber auch der Bewertung der ökonomischen „Gesundheit“ einer Branche geworden.

Eine zu hohe Liquidität führt durch den gegenwärtigen Niedrigzins dazu, dass das Vermögen schrumpft. Eine zu niedrige Liquidität erhöht dagegen das Risiko einer Zahlungsunfähigkeit. Rund 34,37 Prozent aller deutschen Unternehmen fallen in diese Kategorie und verfügen über unzureichend Liquidität.

Im Groß- und Einzelhandel ist der Anteil dieser Unternehmen mit 35,80 bzw. 35,73 Prozent auf einem nur leicht höheren Niveau. Doch vor allem für den Einzelhandel ist dies problematisch: Die Verknüpfung von Umsatz und Liquidität ist in kaum einer anderen Branche so stark. Neue Finanzierungsmethoden wie etwa das „Finetrading“ – eine Finanzierungsform für das betriebliche Umlaufvermögen – können Unternehmen finanziell entlasten und wieder auf Wachstumskurs bringen.

*Liquiditätsgrad 3 < 200%
**Eigenkapitalquote: branchenübergreifend < 20 %, Einzelhandel < 10 %

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Überschuldung: So hoch wie in keiner anderen Branche

Neueste Unternehmenszahlen für 2019 und 2020 zeigen einen weiteren Anstieg der ohnehin hohen Überschuldungsrate. Der branchenübergreifende Durchschnitt liegt hierbei bei 15,4 Prozent. Im Groß- und Einzelhandel ist die Situation dramatischer: So ist im Einzelhandel jedes fünfte Unternehmen (20,02 Prozent) bilanziell überschuldet, im Großhandel sieht es mit rund 18,89 Prozent kaum besser aus. 

In Anbetracht der Tatsache, dass unter der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bei vielen Unternehmen in 2020 weiteres Fremdkapital aufgebaut, Eigenkapital jedoch meist aufgebraucht wurde, bleibt der genaue Grad der Überschuldung noch abzuwarten. Die sich hieraus ergebene Welle an Insolvenzen, welchen die deutsche Wirtschaft seit Monaten vor sich herschiebt, wird erst mit dem Fallen der Regelungen zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bemessen werden können.

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Eigenkapitalquote: Besser als im Durchschnitt, aber ungleich verteilt

29,39 Prozent der Unternehmen in Deutschland verfügen über eine geringe Eigenkapitalquote und laufen daher unter anderem Gefahr, steigende Kapitalkosten wie etwa Zinsen nicht ausreichend deckeln zu können. Grundsätzlich gilt: Je höher die Eigenkapitalquote eines Unternehmens ist, desto freier ist es von Fremdkapitalrisiken und demnach höher die finanzielle Stabilität und Planbarkeit. Der Groß- und Einzelhandel liegt zwar mit jeweils 32,36 Prozent und 34,06 Prozent etwas über dem Durchschnitt, dennoch gibt es keinen Grund zur Entwarnung: Einerseits muss mit dem vorhandenen Eigenkapital das in der Branche eher geringere Anlagevermögen gedeckelt werden, andererseits ist der Anteil an Unternehmen mit einer geringen Eigenkapitalquote sehr hoch. Im Großhandel verfügen rund 37,72 Prozent der Unternehmen über einen zu geringen Eigenkapitalanteil, im Einzelhandel sind es sogar 40,18 Prozent aller Firmen.

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Ausfallrisiko: Die Gefahr einer Firmenpleite ist drastisch gestiegen

Als ein maßgeblicher Faktor zur Bewertung der wirtschaftlichen Stabilität gilt die Ausfallwahrscheinlichkeit, also die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Unternehmen innerhalb der nächsten zwölf Monate Insolvenz anmelden muss. Die Ausfallwahrscheinlichkeit liegt beim Großhandel bei 1,54 Prozent und beim Einzelhandel bei 1,55 Prozent – deutlich höher als im branchenübergreifenden Durchschnitt von 1,36 Prozent. Groß- und Einzelhandel stehen damit deutlich schlechter da als andere Branchen. Die Auswirkungen von Corona sind in diesem Wert außerdem noch nicht enthalten – dementsprechend ist die Diskrepanz zum Durchschnitt und somit auch das Risiko sogar deutlich größer.

Als ein hohes Risiko gilt eine Ausfallwahrscheinlichkeit von mehr als drei Prozent. 16,97 Prozent der Unternehmen aus dem Groß- und 17,73 Prozent im Einzelhandel weisen einen solchen oder sogar höheren Wert auf und gehören damit zur Risikogruppe. Zum Vergleich: Branchenübergreifend liegt der Wert bei 13,61 Prozent.

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Große finanzielle Probleme im Handel

Die Auswertung von Creditsafe spiegelt das erwartete Bild für den Groß- und Einzelhandel wider: Die Branche leidet stark unter den Pandemieeinschränkungen. Insbesondere der Einzelhandel befindet sich in einer schweren wirtschaftlichen Krise, die sich jeden weiteren Monat im Lockdown verschlechtert. Das liegt vor allem an den extremen Umsatzeinbrüchen, der hohen Verschuldung und den daraus resultierenden Liquiditätsproblemen. Zwar ist zu erwarten, dass mit den Lockerungen der Corona-Maßnahmen auch der Umsatz steigt. Da aber noch kein konkreter Zeitpunkt feststeht, bleibt weiterhin abzuwarten, wie schnell und in welchem Umfang sich der Groß- und Einzelhandel von den Umsatzeinbußen erholen kann.

Groß- und Einzelhandel

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