Start-up-Segment hält sich stabil, Pleitefälle stehen im Stau

Die große Insolvenzauswertung 2022

12/06/2023

In Bus und Bahnen müssen keine Masken mehr getragen werden, es gibt kaum noch Schilder, die um den Mindestabstand bitten und auch die Testbüros schwinden nach und nach aus den Straßen Deutschlands. Ebenso sinnbildlich verschwand auch die Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Aufschwung zu Beginn 2022, als ein Krieg mitten in Europa entfachte. Während in den Jahren zuvor noch Zwangsschließungen auf den Umsatz drückten, erschwerten nun Lieferkettenprobleme, steigende Energiekosten und eine neue gesellschaftliche Unsicherheit den unternehmerischen Alltag. Dennoch hält sich der Insolvenzdurchschnitt bisher wacker. Die weltweit meistgenutzte Wirtschaftsauskunftei Creditsafe hatte bereits im letzten Jahr erklärt, das wir hier aber nur von einem Aufschub der Insolvenzwelle sprechen können und weniger von einem tatsächlichen Abbild der externen Auswirkungen. 

Auch in diesem Jahr hat Creditsafe die vorliegenden Daten genauestens analysiert und insbesondere den Fokus auf die jungen Lämmer der Wirtschaft gelenkt. Das Ergebnis: Insolvenzen innerhalb des Start-up-Segments sind rückläufig.

Chapter 1

Demografischer Wandel auch bei Unternehmensgrößen: Start-ups vermelden immer weniger Insolvenzen

Gerade Jobsuchende dürften die verlockenden Angebote der Start-ups in Deutschland sehr gut kennen. Es gibt frisches Obst, Sportangebote, New Work und viele Arbeitsbedingungen, die zukunftsgerichtet modern gestaltet werden. Dieses Denken scheint sich auch in der wirtschaftlichen Stabilität bemerkbar zu machen - machten junge Unternehmen im Jahr 2015 noch 42,2 Prozent aller Insolvenzen aus, waren es in 2022 lediglich 39,1 Prozent. Seit dem Jahr 2019 vor Corona können wir in diesem Segment somit einen positiven Trend beobachten.

Die Anzahl der insolventen Start-ups, gemessen an der Gesamtzahl aller pleite gemeldeten Unternehmen, ist seither immer unter dem Vergleichswert von vor vier Jahren. Während es bei allen deutschen Firmen in 2022 im Vergleich zu 2015 37,8 Prozent weniger Insolvenzen gab, sind die Insolvenzen im Start-Up-Segment mit 40,9 Prozent sogar noch stärker gesunken. Diese Entwicklung könnte unter anderem aber auch damit zu tun haben, dass generell weniger Start-ups im Vergleich zu anderen Unternehmen auf dem Markt existieren und damit der gemessene Vergleichswert automatisch kleiner wird

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Aufgeschoben nicht aufgehoben: Branchenübergreifender Rückgang aller Insolvenzen

Es sind Worte wie Wirtschaftskrise, Lieferengpässe oder Fachkräftemangel, welche den Ernst der momentanen Lage unterstreichen. Umso verwunderlicher ist der Blick aus dem Fenster – neben steigenden Preisen gibt es kaum bis wenig Betriebe, die krisenbedingt schließen mussten. Auch die Insolvenzanalyse von Creditsafe mit Fokus auf einzelne Branchen zeichnet dieses Bild ab. In fast allen Sektoren, mit Ausnahme von „Gesundheit“, „Transport“ sowie „Business & Finanzservices“ ist ein Rückgang der Insolvenzen zu erkennen. Warum ist das so?

In den Jahren der Pandemie gab es einen außerordentlichen Staatseingriff. Überbrückungsgelder und andere finanzielle Hilfen haben vielen Unternehmen dabei geholfen, die Umsatzeinbußen zu kompensieren. Doch die Rückzahlungen stehen bei vielen Betrieben noch aus und krisenbedingte Folgen wirken teils auch weiterhin auf den Erfolg von Unternehmen.

 Bildlicher gesagt bedeutet das, dass über mehrere Jahre Risikoprognosen abgegeben wurden, die bis dato nicht eingetreten sind. Mehrere Tausend Insolvenzen haben sich somit akkumuliert. Denn sobald die staatlichen Hilfen ausgelaufen sind, werden die angestauten prognostizierten Effekte eintreten – wir erwarten somit eine deutliche Zunahme der Insolvenzen in den nächsten Jahren.

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Produktion, Unternehmens- und Finanzdienstleistungen, Großhandel: Diese Branchen gingen trotz „Reichtum“ bankrott

Eine weitere Analyse von Creditsafe betrachtet 100 Insolvenzen der Unternehmen mit dem größten Umsatz oder Vermögen und unterteilt diese nach Branchen. 37 Betriebe waren hier aus dem Produktions- und Herstellungssektor, 29 aus der Unternehmens- und Finanzdienstleistung und 10 waren Großhändler.

Eine andere hier zugehörige Klassifizierung deckt auf, dass Nordrhein-Westfalen die höchste Anzahl an Unternehmensinsolvenzen der Top 100 Betriebe mit größtem Umsatz oder Vermögen gemeldet hatte. 31 Großinsolvenzen wurden hier Publik gemacht – dicht gefolgt von Bayern mit 17 Fällen und Baden-Württemberg mit 8 Pleite-Meldungen. 

Generell ist auch in Anbetracht der totalen Zahlen seit dem Jahr 2019 ein drastischer Anstieg von Insolvenzen größerer Unternehmen zu beobachten. Diese haben vermehrt die Möglichkeit genutzt, Insolvenz in Eigenverwaltung anzumelden – auch trotz eindeutiger Zahlen zu positiver Profitabilität oder Risikoarmut. 

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Die größten Insolvenzen 2022: Von Wiederholungstätern und maritimen Umbauten

Das vermutlich prominenteste Insolvenzverfahren aus dem Jahr 2022 dürfte uns bereits bekannt sein – denn es handelt sich um einen mehrfachen Wiederholungsakt. Die Galeria Karstadt Kaufhof GmbH lässt mit einer stolzen Bilanzsumme von 1,42 Milliarden Euro ihre mehr als 16 Tausend Beschäftigten erneut um ihre Jobs bangen. 

Mit weitem Abstand und einer Bilanzsumme von 100 Millionen Euro folgt das Einzelhandelsunternehmen Ludwig Görtz, dicht gefolgt von dem Automobilzulieferer Dr. Schneider Unternehmensgruppe. 

Ähnlich prominent ist auch das im Januar 2022 eingereichte Insolvenzverfahren des Schiffbauunternehmens MV Werften Holdings Limited. Für die verschiedenen Standorte der MV Werften gab es unterschiedliche Lösungsansätze – in Stralsund wurden sie zu Gewerbeparks, in Rostock ist die Bundeswehr bzw. Marine eingezogen. 

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Fazit: Krisen ohne Folgen bleiben ein Märchen

An manchen Tagen können die Nachrichten einer Krimiserie ähneln – die wirtschaftlichen Krisen scheinen kein Ende zu finden, noch schlimmer: sie bauen aufeinander auf. Nach Jahren der Pandemie folgte der nächste Peitschenschlag und wies die Zuversicht vieler Unternehmer direkt wieder in die Schranke. 

Nun dürfen Betriebe wieder handeln, haben aber mit einer Inflationsrate zu kämpfen, die in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie so hoch war. Hinzu kommen Öl- und Energiekrisen, Lieferengpässe und Lieferkettenprobleme. Es steht außer Frage, dass jene Auswirkungen nicht spurlos vorbeigehen können. 

Trotz stockender Insolvenzzahlen und bis dato nur wenig offensichtlichen Schließungen wird von einem Rückstau gesprochen, der sich bald zu lösen droht. Staatliche Hilfen laufen nicht nur aus, sondern müssen in den kommenden Jahren auch zurückgezahlt werden. Unternehmen, welche mehr finanzielle Hilfen angenommen haben, sehen sich nun immensen Fremdkapitalkosten gegenüber. 

Es bleibt somit turbulent und dynamisch in den Wirtschaftssektoren. Die Insolvenzauswertungen der Folgejahre werden zeigen, wie tief die Auswirkungen greifen – und ob damit einhergehend vielleicht ein Aufleben des Start-up-Segments zu beobachten ist? 

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